ERSTES BUCH
Eine Empfehlung
Bevor ihr dieses Kapitel zu lesen beginnt, eine Warnung. Es folgt das übliche Gesülze über das Leben eines Süchtigen. Es steht hier nichts, was nicht schon hunderte Male in Film, Literatur und Musik thematisiert wurde. Denjenigen, die sich das nicht antun wollen, rate ich, diesen Teil zu überspringen.
Ähnlich wie es nicht notwendig ist den ‚Hobbit‘ zu lesen, um ‚Herr der Ringe‘ zu verstehen und zu genießen, braucht man auch hier nicht weiterzulesen, um die Geschichte verstehen zu können.
Obwohl ich bezweifle, dass es hier viel zu genießen gibt, ganz im Gegensatz zu Tolkien natürlich, der macht immer Spaß.
Diese Empfehlung gilt vor allem für die Familie und Freunde von Süchtigen. Sie brauchen den Alltag eines Süchtigen wirklich nicht so im Detail zu kennen.
To the ones who don’t listen. Have fun but don’t complain afterwards.
I MUST NOT FEAR.
FEAR IS THE MIND-KILLER.
FEAR IS THE LITTLE-DEATH THAT BRINGS TOTAL OBLITERATION.
I WILL FACE MY FEAR.
I WILL PERMIT IT TO PASS OVER ME AND THROUGH ME.
AND WHEN IT HAS GONE PAST
I WILL TURN THE INNER EYE TO SEE ITS PATH.
WHERE THE FEAR HAS GONE THERE WILL BE NOTHING.
ONLY I WILL REMAIN
THE LITANY OF FEAR: FRANK HERBERT, DUNE
Prolog
Ein typischer Tag im Leben von Tobi
YOU ARE WHAT YOU EAT,
WHAT YOU THINK AND WHAT YOU DO
EDWARD JAMES OLMOS
Das Erste, was Tobi wahrnimmt, ist die Hitze. Es ist ein ungewöhnlich heißer Sommer und auch in der Nacht kühlt es nicht unter 25 Grad ab. Die zweite Empfindung ist der kalte Schweiß, der seinen ganzen Körper einhüllt, das Leintuch ist regelrecht durchtränkt, die Decke und das Kissen kleben unangenehm klamm an seinem Körper. Er kann sich glücklich schätzen, dass er ein Nacktschläfer ist. Die Vorstellung eines auswringbaren Schlafanzuges lässt ihn schaudern. Seine dritte Beobachtung, und das nimmt er mit einem gewissen Maß an Erleichterung zur Kenntnis, er hat nicht ins Bett gepisst.
Er kann sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal richtig tiefen, gesunden und erholsamen Schlaf genießen konnte. Das höchste der Gefühle während den letzten Wochen, vielleicht sogar Monate, ist ein Dämmerzustand, der von halb wachen Phasen unterbrochen wird. Träumen kann er nicht, dafür wird er in diesen Stunden, die er so im Bett verbringt, von Visionen der grausigen Art heimgesucht.
Für sich nennt er sie ‚Fleischträume‘. Im Grunde genommen sind es immer dieselben Bilder. Er selbst oder die Menschen um ihn herum beginnen sich aufzulösen, zuerst fällt die Haut ab und entblößt Fettgewebe, Muskelfasern und natürlich Unmengen von Blut und Sabber. Inhalte und Geschichten haben diese ‚Träume‘ nie, es ist einfach ein immerwährender Zerfall von Körpern. Besonders unangenehm ist es, wenn er im Traum selbst von dieser Zersetzung betroffen ist. Er hat am Morgen danach das Gefühl, gleich die doppelte Menge Schweiß ausgeströmt zu haben.
Er möchte eigentlich nicht aufstehen, doch gibt es einen triftigen Grund, wieso er es dennoch schafft, sich aus dem Bett zu rollen.
Die von Schweiß nassen Laken und die zerwühlte Decke lässt er zurück, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass er sich in einigen Stunden wieder in denselben Dreck legen wird.
Obwohl, das stimmt nicht ganz. Er hofft, dass das Bettzeug trotz der hohen Luftfeuchtigkeit bis zum Abend trocknet. Der Schmutz stört ihn wenig, nur das Gefühl, sich in ein feuchtes Bett zu legen, bereitet ihm ein gewisses Unbehagen. Wenn die Lufttrocknung ausbleiben sollte, na ja, dann ist es eben so. Auch wenn er die Matratze mit seinem Urin getränkt hätte, würde ihn das nicht stören. Die Pisse ist ja sowieso beinahe nur Wasser und sicher nicht schlimmer als seine sonstigen Aussonderungen.
Der Grund für sein zeitiges Aufstehen ist ganz einfach, es sind vielleicht fünf Stunden vergangen, seit er sich das letzte Mal einen Schuss gesetzt hat und er beginnt langsam zu merken, dass ihn das High verlässt und er unangenehm nüchterne Gedanken fassen kann.
Die verstrichene Zeit hat natürlich nicht gereicht, dass er Entzugserscheinungen bekommen würde, aber im Moment kann er es nicht einmal ertragen, in die Nähe eines halbwegs luziden Zustandes zu kommen, also macht er sich schleppend auf den Weg in die Küche, wo er, in weiser Voraussicht, am Abend zuvor das Besteck schon bereitgelegt hat.
Den Löffel, das Ascorbin, die Kerze, den herausgerollten Filter einer Zigarette, die Spritze und natürlich das Säcklein mit dem himmlischen braunen Pulver aus der Hölle, auch bekannt als die Labore des Pharmariesen Bayer.
Obwohl er alle Ingredienzien hat und sich keine Sorgen machen muss, dass er in naher Zukunft seine Vorräte aufgebraucht haben wird, ist er besorgt. Das Problem ist nicht der Stoff, das Problem ist nicht das Aufkochen, das Problem ist sein Körper.
Genauer gesagt, seine Venen. Da er im Moment mehr als genug Stoff in seinem Körper hat, haben sich seine Venen entschieden, ein Rückzugsgefecht zu führen, indem sie die Strategie verfolgen, sich unter seiner Haut zu verstecken. Er kann sich den Arm abbinden, bis er jegliches Gefühl in der Extremität verliert, und doch zeigen sich keine blauen Linien, die auf ein Blutgefäß mit ausreichendem Durchmesser hindeuten.
Klar, es gibt einige Orte, von denen er weiß, dass sich dort eine Vene befinden muss, doch hat er diese Bereiche in den letzten zwei bis drei Wochen derart überstrapaziert, dass er nur noch in blutigem Matsch herumstochert und nie den erlösenden Anblick von Blut, das in die Spritze zurückfließt, zu Gesicht bekommt. In letzter Zeit hat er aus lauter Ungeduld die Ladung trotzdem hineingedrückt, ohne dass er das selig machende Gefühl von frischem Heroin, das sich in seinem Körper ausbreitet, erfahren hat.
Das Einzige, das in diesen Momenten geschieht, ist, dass sich ein komischer Buckel unter seiner Haut bildet. In seiner Dummheit versucht er dann, das soeben hinein gespritzte Heroin wieder hinauszuziehen, was mit reichlich unangenehmen Schmerzen belohnt wird.
Nein, er hat keine Ahnung von Anatomie und vom Setzen von Spritzen, er ist, um ehrlich zu sein, ein jämmerlicher Versager in der illustren Welt eines Karriere-Junkies.
All das hilft aber nichts, die dreckig-braune Flüssigkeit muss irgendwie in seinen Blutkreislauf gelangen.
Heute hat er eine neue Idee. Soviel er weiß, führt ein heißes Bad zur Weitung der Blutgefäße und Kapillaren. Na ja, wissen ist wahrscheinlich übertrieben. Tobi hat einmal davon gehört und er hat die starke Vermutung, sprich Hoffnung, dass dem so sein muss.
Er begibt sich also ins Bad und lässt heißes Wasser in die Wanne laufen. In die Küche zurückgekehrt beginnt er mit dem Aufkochen. Die Ironie, dass er in der Küche zwar kocht, aber nicht das, wofür dieser Raum eigentlich vorgesehen ist, geht vollends an ihm vorbei.
Zuerst nimmt er den adäquat zurechtgebogenen Löffel zur Hand und zündet anschließend die Kerze an. Er streut etwas von dem wie dunkler Zimt aussehenden Pulver auf den Löffel, gibt Ascorbinsäure hinzu, füllt die Spritze mit Wasser und tröpfelt dieses auf das Gemisch. Vorsichtig manövriert er den gefüllten Löffel über die Flamme der Kerze und wartet, bis sich das Gemisch erhitzt. Sobald die Mischung zu köcheln beginnt, legt er den aufgezupften Zigarettenfilter hinein, Tobi drückt den Kopf der Spritze, ohne die Nadel montiert zu haben, auf den Filter und zieht das zum Konsum bereite Heroin in die Spritze.
Der Filter hilft, dass auch jedes Quäntchen des guten Zeugs in die Spritze gelangt. Ohne den Filter ist es fast unmöglich, die Flüssigkeit aus dem konisch gebogenen Löffel zu extrahieren.
Er drückt die Nadel drauf, hält die Spritze waagrecht, klopft mit dem Zeigefinger mehrmals auf die Kanüle, sodass sich die mit eingefangenen Luftbläschen im oberen Teil sammeln können, und drückt diese vorsichtig heraus, darauf achtend, nichts von dem süßen Ambrosia zu vergeuden.
Er denkt darüber nach, dass er schon in unzähligen Krimis gesehen hat, dass Menschen in Spitälern mit einer Spritze voll Luft umgebracht worden sind. Wenn diese Tötungsweise aber so effizient wäre, dann hätte ihn wohl schon längst der Tod ereilt. Er ist sich nämlich sicher, dass er bei jedem Schuss, den er sich in der Vergangenheit gesetzt hat, Luft in seine Venen gepumpt hat. Wie schon oben erwähnt, hat er von medizinischen Belangen keinen blassen Schimmer.
Mit der gefüllten Spritze bewaffnet begibt er sich in das Badezimmer. Der Gürtel liegt am Rand der Badewanne und um die Szenerie etwas romantisch zu gestalten, zündet er rund um die Wanne einige Kerzen an.
Er ist ja kein Barbar.
Behutsam legt er sich in das dampfende Wasser. Die Vorsicht gilt nicht der Sorge, er könne ausrutschen und sich verletzen. Nein, allein die Spritze, die nun neben dem Gürtel liegt, ist es wert sich zu sorgen. Er will nicht, dass sie zu Boden oder in die Wanne fällt, denn dann müsste er unter Umständen noch einmal in die Küche, um ein neues Eisen vorzubereiten.
Langsam macht sich in seinem Kopf die Vorfreude auf den bevorstehenden Kick breit und verdrängt alle anderen Gedanken. Die Aussicht, weitere fünf Minuten zu warten, um einen Ersatz vorzubereiten, scheint unerträglich.
Es ist schwer zu beschreiben, was in solchen Momenten durch die Köpfe von Heroinsüchtigen geht. Auch wenn sie auf Entzug und von Krämpfen und Zittern geplagt sind, werden ihre Hände in diesen Momenten ruhig und die Koordination wird zielsicher. Sie können schon fast den erlösenden Moment fühlen, wenn sich der Stoff in ihrem Körper breitmacht. Aber seien wir ehrlich, so gut wie alles, was mit der Sucht im Allgemeinen und der Sucht nach Heroin im Speziellen zu tun hat, ist nach logischen Maßstäben schwer zu beschreiben. Sucht folgt keinen rationalen Regeln.
Tobi liegt keine Minute im heißen Wasser und fängt schon an mit dem Gürtel zu hantieren. Er bindet sich den Arm ab und zieht den Gurt mit den Zähnen so fest wie möglich zu. Da er keine wirkliche Ahnung hat, wie man so etwas professionell macht, überrascht es nicht, dass er den Gürtel so anlegt, dass die Schnalle über der Armbeuge zu liegen kommt und somit wahrscheinlich keine Vene abbindet. Es erscheint also keine erlösende Erhebung auf seinem Unterarm, also zerrt und reißt er weiter, ohne Erfolg.
Da der Ledergürtel in seinem Mund das Schlucken erschwert, beginnt er zu sabbern. Der Speichel durchweicht auch das Leder und er muss immer stärker zubeißen, um nicht abzurutschen. Die Unterseite des Gürtels ist rau und von den häufigen Beißattacken zartgeklöppelt.
Tobi kommt die Szene aus Charlie Chaplins ‚Gold Rush‘ in den Sinn, wo der Tramp mit Genuss einen Lederschuh verspeist. Er fühlt sich mit dieser Leinwandlegende seltsam verbunden.
Langsam schwant ihm, dass die Idee mit dem Bad unter Umständen doch nicht funktionieren wird.
Aufgeben will er dennoch nicht, denn jetzt, wo das Heroin so nah ist, kommt er in einen erregten Zustand und versucht seinen Arm mit purer Willenskraft dazu zu bringen, eine sichtbare Vene zu produzieren.
Erschwerend kommt hinzu, dass er in der Badewanne herumzurutschen beginnt und immer mehr Mühe hat, mit seinem Arsch nicht wegzuflutschen und Kopf voran mit der Spritze zwischen den Zähnen unterzutauchen.
Alles in allem ist es ein bemitleidenswerter Anblick, den er bietet. Glücklicherweise sieht ihn niemand in dieser lächerlichen Situation.
Nach einigen Minuten vergeblicher Verrenkungen und Wasser auf dem Boden des Badezimmers verteilend gesteht er sich ein, dass es so nicht funktioniert. Da kommt ihm eine weitere vielversprechende Idee. Sein Fuß, besser gesagt unter seinem linken Fußknöchel, dort erinnert er sich, schon mal Venen gesehen zu haben. Er löst den Gürtel von seinem Arm und legt ihn unterhalb des linken Knies an und beginnt von Neuem zu ziehen und zu zerren.
Es überrascht nicht, dass Erfolg ausbleibt. In seinem frustrierten Gemütszustand interessiert ihn das nicht und er beginnt zu raten und blinde Kuh zu spielen. Ungefähr an der Stelle, wo er das Blutgefäß vermutet, sticht er in die Seite seines Fußes und versucht die Spritze aufzuziehen, mit der Hoffnung, dass zurückschießendes Blut zu sehen sein wird. Außer einem stechenden Schmerz nimmt er leider nichts wahr.
Da ihm keine bessere Idee kommt, versucht er es einige Millimeter daneben von Neuem. Wieder ohne Erfolg.
Diese Übung wiederholt Tobi so oft, bis die Stelle unter seinem linken Knöchel wie ein blutiger Schwamm aussieht. Frustriert hält er inne. Langsam breitet sich ein an Angst erinnerndes Gefühl in ihm aus.
Wahre Gefühle hat man unter dem Einfluss von Heroin eigentlich nicht. Es sind eher Echos von dem, was man ohne Einfluss des Opiats spüren würde. Vielleicht ist es das, was ein Soziopath spürt, wenn er ein verelendendes Tier sieht. Er weiß, im Grunde genommen sollte er sich schlecht fühlen, aber irgendwie resoniert nichts in seinem Inneren.
Das ist ein guter Vergleich. Nicht der mit dem Soziopathen, obwohl das wohl auch ab und an vorkommt. Nein, es geht darum, dass Heroinsüchtige keine Resonanz zwischen der Welt und ihrem Inneren empfinden können. Die Droge erfüllt sie mit allem, was sie benötigen. Eine wahre emotionale Verbindung zur Umwelt besteht nicht mehr.
Tobi bleiben, wenn seine Versuchen, sich den Stoff intravenös zu injizieren fruchtlos bleiben, die Optionen, den Stoff zu schnupfen oder auf einer Alufolie zu rauchen. Das würde das Problem des Mangels lösen, aber jeder, der sich einen Schuss gesetzt hat, wird bestätigen, dass schnupfen oder rauchen nicht mit intravenösem Konsum zu vergleichen ist. Man kann es mit dem Unterschied zwischen Selbstbefriedigung und Sex mit einer (echten) Frau vergleichen, diese Analogie ist nicht weit davon entfernt.
Tobi sieht von diesen Optionen ab, da sein Körper so von Heroin gesättigt ist, dass er wahrscheinlich beim Schnupfen oder Rauchen eh keine Verbesserung seines Gemütszustandes spüren würde. Nein, er hat keine Wahl, irgendwie muss Tobi es schaffen, einen Zugang mit der Spritze zu finden.
Der Kick beim Spritzen ist unvergleichlich. Man spürt, wie sich von der Einstichstelle aus ein Strom aus Wärme und Glück im Rest des Körpers ausbreitet und für 30 Sekunden befindet man sich im wahrsten Sinne des Wortes an den Pforten zum Himmel.
Alle Selbstzweifel, jegliche Bedenken darüber, was man sich hier eigentlich antut, sind wie weggewischt, alle Sorgen der Welt fallen von einem ab und man befindet sich an der Schwelle zum Nirvana. Wenigstens ist dies anzunehmen, wenn man den Beschreibungen von diversen Yogis über diesen Zustand Glauben schenken will.
Wenn diese halbe Minute vorüber ist, wird man aber von Petrus, Gandhi, dem Dalai Lama oder wer auch immer gerade als Türsteher vor den Toren zum Paradies eingeteilt ist, zurückgeschickt und befindet sich wieder auf der irdischen Sphäre. Die Ängste und Selbstvorwürfe sind wieder da, wenn auch glücklicherweise etwas gedämpfter als zuvor.
Da Tobi den festen Wunsch hat, mit dieser Droge aufzuhören und aus diesem Grund täglich bei der HES anruft, um sich den nächsten frei werdenden Platz in der HeroinEntzugsStation zu sichern, ist er nicht bereit auf dieses Gefühl, solange es noch währt, zu verzichten. Er ist davon überzeugt, dass er in dem Moment, in dem er in die HES eintritt, das letzte Mal in seinem Leben Heroin konsumiert haben wird.
Neben seinem Unwissen, was die Funktionsweisen seines Körpers angeht, ist er offensichtlich auch unsäglich naiv und hat die Tragweite seiner Sucht noch bei Weitem nicht erfasst.
Zurück in der Badewanne, immer noch vor demselben Dilemma stehend, wobei sich die linke Seite unter seinem Knöchel langsam in einen blutigen Matsch verwandelt hat und er doch nicht zum Ziel gekommen ist, denkt er angestrengt nach.
Wie wäre es mit seiner Hand? Auf dem linken Handrücken muss es doch Venen geben. Er beginnt von Neuem, blind Darts zu spielen. Diesmal verzichtet er auf den Gürtel, der hat ja bis dahin sowieso nichts gebracht. Einige Minuten später sieht seine Hand schlimmer aus als sein Fuß und Frustration gepaart mit Sorge machen sich breit.
Er beginnt, für ihn bis dahin unmögliche Vorgehensweisen in Betracht zu ziehen. Er hat von den Stellen am Hals und unter den Genitalien gehört. So verzweifelt ist er aber doch nicht, dass er sich an diesen delikaten Stellen zu schaffen machen würde. Seinen Schwanz und sein Hirn will er doch nicht der Gefahr aussetzen, langfristige Schäden davonzutragen. Na ja, wenigstens nicht noch mehr, als er es bis jetzt schon getan hat.
Tobi beginnt, die altbekannten Stellen an seinem Arm abzutasten. Auf der Rückseite seines linken Unterarms gibt es eine Stelle, die ihn immer wieder positiv überrascht hat, doch auch sie lässt ihn heute im Stich. Nun betrachtet er seine Armbeuge genauer, wenn er sich richtig erinnert, ist es einige Tage her, seit er zum letzten Mal probiert hat, dort etwas zu erreichen und es hat sich in der Zwischenzeit etwas Schorf gebildet.
Nach etwa dem fünften Versuch wird Tobi belohnt und er sieht, wie sich die schmutzig-goldgelbe Flüssigkeit durch einen Blutstropfen, der in die Spritze zurückschießt, dreckig braun verfärbt.
Jetzt ist absolute Vorsicht geboten, denn er muss mit seinen Fingern die Position ändern, um die nun bernsteinfarbene Flüssigkeit endgültig in seinen Blutkreislauf zu befördern. So kurz vor dem Ziel wird Tobi nervös und beginnt nun doch leicht zu zittern. Das macht ihn nur noch unsicherer … aber er hat Glück und verliert den Zugang zur Vene nicht. Es gelingt ihm, alles hineinzudrücken und sofort legt er den Kopf in den Nacken und genießt, was nun folgt.
Leider ist es bei Süchtigen so, dass das ursprüngliche Glücksgefühl des ersten Konsums nie mehr erreicht wird und so ist der Kick leider allzu bald vorbei. Das ist Tobi von vornherein klar und so macht er sich nicht einmal die Mühe, die Spritze wieder aus seinem Arm zu ziehen, damit ihm keine Sekunde des Rushs entgeht.
So liegt er für einige wenige Minuten im Badewasser, das durch das Blut, welches aus den von ihm malträtierten Stellen austritt, mittlerweile eine übelkeitserregende Färbung angenommen hat. Die Spritze hängt in seinem Arm, der unter Wasser driftet und von der schwachen Strömung, die durch sein Atmen verursacht wird, leicht auf und ab bewegt wird.
Mit den Kerzen rund um die Badewanne, dem nassen Ledergürtel, der unbeachtet auf dem überschwemmten Boden liegt und den sporadischen Blutspritzern hier und da ist es ein wirklich heimeliges Bild, das Tobi abgibt.
Irgendwann erhebt er sich aus der Wanne, zieht eine Turnhose und ein T-Shirt an und verbringt den Rest des Vormittags in einem Dämmerzustand auf der Couch, bis er die Übung wiederholt.
Er hat vom Arzt Valium verschrieben bekommen, das ihn die Zeit im Halbdelirium erleben lässt. Dummerweise döst er mit einer Hand unter seinem Körper vor sich hin. Der Blutkreislauf ist nach einigen Stunden derart eingeschränkt, dass er noch Tage später kein Gefühl in seinem Arm wahrnehmen kann. Das passt gut zu seinem emotionalen Zustand. Körper und Geist sind auf einer Wellenlänge.
Tobi verbringt etwa drei Wochen auf diese Weise. Jeder Tag ist eine kleine Variation des vorangegangenen. Die Wohnung verlässt er nur, um Zigaretten an der nahen Tankstelle zu kaufen oder um nach Zürich zu gehen, um weitere fünf Gramm Heroin zu kaufen. Geld hat er während dieser Zeit noch genug und er weiß ja, dass es nur für begrenzte Zeit bei so viel Konsum bleiben wird.
Er ernährt sich einzig von einem Vanille-Milchshake, den er literweise in sich hineingießt. Feste Nahrung nimmt er nicht zu sich. Es ist eine Nebenwirkung von Heroin, dass man sich häufig übergeben muss, vom dauernden Kratzen der Haut bis aufs Blut und anderen schönen Dingen mal abgesehen.
So kotzt er immer mal wieder die warme, weiße Flüssigkeit aus. Er hat schon begonnen, sich an den Geschmack des warm wieder raufkommenden Shakes zu gewöhnen und findet diesen mittlerweile schon fast besser, als wenn er den kalten Shake trinkt.
Diese Reierei erinnert an den Anblick im Film ‚Alien‘, wo Ian Holm in der Rolle des Androiden Ash ähnliches Zeug herumschleudert, als Ripley ihm den Kopf abschlägt. Vielleicht haben die Filmleute sogar ein ähnliches Gebräu verwendet, wäre das nicht lustig?
Glücklicherweise schafft Tobi es meist auf die Toilette und wenn es mal nicht reicht, ist die Sauerei schnell mit einem Papierküchentuch weggewischt. Es befinden sich ja keine festen Brocken in der weißlich-trüben Lache am Fußboden.
Irgendwann kommt dann der Tag, an dem ihm am Telefon bestätigt wird, dass er am folgenden Morgen in die HES eintreten darf. Seine Mutter wird ihn fahren.
Tobi veranstaltet mit dem Rest des Heroins eine kleine Party und setzt sich immer wieder einen neuen Schuss. Wegen einer Überdosis muss er sich keine Sorgen machen, denn die Zeitabstände zwischen den Hits sind aus den oben beschriebenen Gründen groß genug.
A story about addiction from
the perspective of an addict
reflecting on himself and other addicts,
all striving to break their addictions.
To my mother, may all the gods
prevent her from ever reading this.
To all the dead, the living dead
and their suffering families.
I hope this story may help some of them.
A recommendation
Before you embark on this chapter, let me warn you: what follows is the typical drivel about the life of an addict. You will find nothing here that hasn’t been covered hundreds of times in movies, literature and music. If you are someone who doesn’t want to go through all that, I suggest skipping this part.
Just like you’re not required to read The Hobbit to fully understand and enjoy The Lord of the Rings, you really do not need to read this part of the book to understand the whole story.
Even though I doubt there’s that much to relish here – unlike Tolkien of course. He is always a lot of fun.
This especially goes for the families and friends of addicts. You really don’t need to know the everyday details of addicts.
To the ones who don’t listen. Have fun but don’t complain afterwards.
I must not fear.
Fear is the mind-killer.
Fear is the little-death that brings total obliteration.
I will face my fear.
I will permit it to pass over me and through me.
And when it has gone past
I will turn the inner eye to see its path.
Where the fear has gone there will be nothing.
Only I will remain
The Litany of Fear: Frank Herbert, Dune
Prolog
A typical day in the life of Tobi.
You are what you eat, what you think and what you do
Edward James Olmos
The first thing Tobi notices is the heat. It’s an unusually hot summer with the temperature not even dropping below 80 degrees at night. His second sensation is the cold sweat enveloping his entire body, his sheets are literally soaked, the clammy blanket and pillow stick unpleasantly to his body. It is a good thing he doesn’t mind sleeping in the nude. The thought of wringing out PJs makes him shudder. His third observation, and he takes note of this with a certain amount of relief: he didn’t piss in his bed.
He can’t recall the last time he managed to enjoy a deep, healthy and restful sleep. The best feeling he’s had in the last few weeks, maybe even months, has been a restless dozy state interrupted by semi-wakeful phases. He doesn’t dream. Instead, he’ll spend those hours in bed, haunted by horrible visions.
He calls these “meat dreams”. They are basically always the same images. He himself and the people around him start to dissolve. First, they begin to shed their skin, exposing the fat layers, muscles and of course vast amounts of blood and gunk. These “dreams” never really have a real content or faces, they’re just a perpetual repeat of decaying bodies. The dreams are particularly unpleasant when his body is also affected by this decay. The following morning, he then always feels like he produced twice the amount of sweat.
He doesn’t really want to get up, but there’s a good reason why he does manage to roll out of bed.
He leaves the wet sheets and tossed blanket behind without wasting a thought about the fact that he will fall right back into the same filth in a few hours’ time.
Although, that’s not quite true. He’s hoping that the bedding will dry by tonight despite the humidity. He doesn’t mind the grime, it’s more the feeling of lying down in a moist bed – that makes him uncomfortable. If the air doesn’t dry it, well, then that’s that. Even had he soaked the mattress with his urine, he wouldn’t have been bothered. Piss is almost only water anyway and certainly not worse than his other excretions.
The reason for getting up early is quite simple. It’s been roughly five hours since he last took a hit, and he can slowly tell that the high is wearing off. He is beginning to think unpleasantly sober thoughts, again.
Of course, the elapsed time is not enough for him to go into withdrawal, but at the moment he can’t even stand to be anywhere near a halfway lucid state, so he sluggishly makes his way to the kitchen, where, in his clever foresight, he already laid out the cutlery, the works, the night before.
The spoon, the Ascorbic acid, the candle, the filter rolled out of a cigarette, the syringe and of course the little bag with the heavenly brown powder from hell, also known as the labs of Bayer, the pharma giant.
Even though he has all the ingredients and need not fear that his supplies might run out in the near future, he is worried. The stuff isn’t the problem, nor the heating, his body is the problem.
More specifically, his veins. Because he has more than enough substance in his body at the moment, his veins have decided to fight a rearguard action by pursuing a strategy of hiding beneath his skin. He can tie off his arm until he loses all feeling in his limb, and yet he won’t see any blue lines indicating a blood vessel of sufficient diameter.
Sure, there are a few spots where he knows there are veins, but he’s overstrained these areas a lot in the last two to three weeks, so he’d only poke around a bloody mush and never get to see that cathartic sight of blood rushing back into the syringe. Recently, however, he’s been pushing the shot in anyway, out of sheer impatience – never even getting to experience that blissful feeling of fresh heroin spreading through his body.
The only thing that happens in those moments is a weird bulge that forms under his skin. In his stupidity, he then tries to draw the heroin back out that he just injected – an idea that’s immediately rewarded with plenty of nasty pain.
Nope, he has no clue about anatomy or how to use a syringe. To be honest, he’s just a pathetic loser in the illustrious world of a career junkie.
But none of that is of any help. The muddy brown liquid must get inside his bloodstream somehow.
A new idea hits him today. As far as he knows, a hot bath will make his blood vessels and capillaries expand. Ok, to say he knows is probably an exaggeration. Tobi heard about that at some point and he’s got a strong hunch, i.e. hope, that it must be true.